Radsport
01.06.2013 - Glanz und Leid der Ampler-Familie
Der 23-jährige Rick versucht sich als Radprofi, sein schwer kranker Opa Klaus liegt im Pflegeheim
Mit der Startnummer 151 tauchte im Bochumer Drittliga-Team TSP-Nutrixxion-Abus bei der Bayern-Rundfahrt der Name Rick Ampler auf: Sohn des Team-Olympiasiegers und Weltmeisters Uwe Ampler (48) und Enkel des legendären Friedensfahrtsiegers Klaus Ampler (72). "Ich habe mich Anfang des Jahres entschlossen, eine Laufbahn als Profi einzuschlagen. Ich bin begeistert. Das ist eine andere Welt als bei den Amateuren. Unser Team Nutrixxion ist sehr gut aufgestellt. Es macht richtig Spaß, Rennen zu bestreiten", schwärmt der 23-Jährige.
Im Moment fährt er bei den Profirennen lediglich mit. Ein Rennen zu gestalten, wie es Opa und Vater immer wieder vorführten, glückt ihm noch nicht. Rick zeigt sich jedoch als Realist: "Ich muss mich in meinem ersten Jahr erst einmal an das hohe Tempo und die aggressivere Fahrweise gewöhnen. So gesehen, finde ich mich schon ganz gut zurecht."
Der jüngste Ampler zog nach Berlin und wohnt mit seiner Mutter im Prenzlauer Berg. "In vier Wochen ziehe ich nach Schöneberg. Das ist für mich günstiger. Max Walsleben, Roger Kluge und ich haben uns mit einigen anderen Profis als Trainingsgruppe zusammengeschlossen. Wir treffen uns immer an der Havel-Chaussee, um dann in die Mark Brandenburg zu fahren. Von Schöneberg zur Havelchaussee sind es acht, von Prenzelberg 18 Kilometer", erklärt der Sachse.
Was die Erfolge von Opa und Vater betrifft, da bleibt Rick natürlich auf dem Teppich: "Ihre Vorgaben sind für mich hoch wie Wolkenkratzer. Ich bin froh, wenn ich ein guter Profi werde, der ab und zu auch einmal ein Rennen gewinnen kann."
Um seine Ziele zu erreichen, braucht der jüngste Ampler auch Glück. "Ich helfe, so gut ich kann", sagt Vater Uwe. Die Amplers, in der ehemaligen DDR eine der bewunderten Vorzeige-Familien, waren in den vergangenen zehn Jahren wahrlich nicht auf Rosen gebettet. Ihr Rad- und Computer-Großhandel lief nicht. Und dann auch noch das Unglück.
Vor fast zehn Jahren, im September 2003, wurde Uwe bei Tempo 50 von einem Jeep erfasst, der aus einem Seitenweg auf die Straße schoss. Der einstige Radprofi erlitt einen schweren Schädelbruch und lag über Wochen im Koma. Lange Zeit fasste er keinen Tritt. "Inzwischen geht es wieder. Ich kann zwar meinem Beruf als Computer-Fachmann nicht mehr nachgehen, weil ich das Sitzen vor dem Bildschirm nicht aushalte. Ich habe dennoch eine richtig gute Beschäftigung gefunden", glaubt der einstige Radstar.
Uwe Ampler trainiert beim RV AC Leipzig die Jugendlichen der U15. "Das ist fast ideal für mich. Ich muss mich viel bewegen, dann geht es mir gut. Ich begleite deshalb meine Trainingsgruppe auf dem Rennrad. An Tagen ohne Training gehe ich viel Laufen.", sagt der viermalige Friedensfahrtsieger und gibt sich zufrieden: "Angesichts meiner schweren Verletzung habe ich es wieder einigermaßen gepackt." Zum Glück griffen ihn Freunde wie Wolfgang Schoppe unter die Arme. Leider hatte Uwe auch privat kein Glück. Seine Frau ließ sich scheiden. Jetzt drückt Uwe Sohn Rick die Daumen: "Ich hoffe, dass Rick als Profi sein Geld verdient, dann ist schon alles in Ordnung. Hochtrabende Pläne bringen nichts."
Alle vier Tage besucht Uwe seinen Vater Klaus im Pflegeheim. "Vater spricht kaum. Wenn er mich sieht, lächelt er manchmal, manchmal schaut er auch durch mich einfach durch", erklärt Uwe. Bei Ehefrau Waltraud, seit 50 Jahren mit Klaus verheiratet, tauchen manchmal die alten Bilder auf, wenn sie am Bett ihres demenzkranken Mannes sitzt. Da sieht sie ihn auf dem Rad, wenn er wie 1963 im Gelben Trikot durch die damalige Backofenhitze auf den 245 km zwischen Dresden und Erfurt donnert.
Auf den Katzenköpfen im damaligen Karl-Marx-Stadt zischte die Luft aus einem Reifen. Täve Schur gab "Neptun" sein Rad. Ampler fand sofort wieder Anschluss zur Spitzengruppe und behauptete das Gelbe. "Neptun" wurde Klaus Ampler in der Radsportszene genannt, weil er aus Warnemünde stammt. "Meine Mutter ist eine treue Seele. Erst hat sie meinen Vater lange zu Hause gepflegt. Als es nicht mehr ging, kam er ins Heim. Jetzt sitzt sie jeden Tag an seinem Bett, weicht nicht von seiner Seite - bis zum bitteren Ende."
Manfred Hönel
Leipziger Volkszeitung, 01.06.2013